VW-Abgasmanipulationen: Die Bundesanwaltschaft schliesst ihr Strafverfahren mit Einstellungsverfügung ab
Bern, 31.10.2024 - Die Bundesanwaltschaft (BA) schliesst das Schweizer Strafverfahren im Zusammenhang mit den VW-Abgasmanipulationen ab. Ein Bussgeldbescheid gegen die VOLKSWAGEN AG (VW AG) der Staatsanwaltschaft Braunschweig in Deutschland verunmöglicht eine erneute Strafverfolgung der VW AG durch die BA in der Schweiz aufgrund des transnationalen Doppelverfolgungs- und Doppelbestrafungsverbots. Die BA hat das Strafverfahren gegen die VW AG daher eingestellt. Der Tatverdacht gegen die AMAG IMPORT AG (AMAG AG) und gegen deren verantwortliche Organe und Betriebszugehörige hat sich nicht erhärtet. Aus diesem Grund hat die BA das Strafverfahren auch gegen diese Beschuldigten eingestellt. Die Einstellungsverfügung ist noch nicht rechtskräftig.
Die BA führte seit Dezember 2016 ein Strafverfahren gegen die VW AG und gegen die AMAG AG wegen Verdachts der Strafbarkeit des Unternehmens (Art. 102 Abs. 1 des Strafgesetzbuches [StGB] in Verbindung mit Art. 146 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 StGB) sowie gegen die verantwortlichen Organe und Betriebszugehörigen der AMAG AG wegen Verdachts der Teilnahme an gewerbsmässigem Betrug (Art. 146 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 StGB).
Zu Beginn des Verfahrens bestand der Verdacht, wonach die verantwortlichen Organe und Betriebszugehörigen der AMAG AG zwischen 2008 und 2015 in der Schweiz zumindest teilweise im Wissen um die vorgenommenen Abgasmanipulationen rund 175'000 Käufer und Leasingnehmer von Fahrzeugen der VW-Konzernmarken mit Dieselmotoren des Typs EA 189 in unbestimmter Höhe am Vermögen geschädigt haben könnten.
Zudem bestand gegenüber den beiden Unternehmen, der VW AG und der AMAG AG, kurz zusammengefasst der Verdacht, die ihnen – beziehungsweise ihren Organen – obliegenden Pflichten zur Identifikation der für die vorgenommenen betrügerischen Abgasmanipulationen verantwortlichen natürlichen Personen verletzt zu haben.
Verlauf des Verfahrens
Nach Bekanntwerden der Abgasmanipulationen der VW AG gingen bis im März 2016 rund 2’000 Strafanzeigen wegen Betrugs und unlauteren Wettbewerbs teils bei den kantonalen Staatsanwaltschaften in der ganzen Schweiz, teils direkt bei der BA ein. Zwecks Koordination zwischen den betroffenen Strafverfolgungsbehörden und Erzielung einer gesamtschweizerischen Lösung wurden diese Strafanzeigen bei der BA zusammengeführt. Aufgrund der fehlenden Auslieferungsmöglichkeit deutscher Staatsangehöriger aus Deutschland ersuchte die BA in der Folge die zuständige Staatsanwaltschaft Braunschweig im April 2016 um Übernahme der Strafuntersuchung gegen die Verantwortlichen Organe der VW AG und gegen die VW AG als Unternehmen.
Nach Eingang der Übernahmebestätigung der Staatsanwaltschaft Braunschweig verfügte die BA im April 2016 hinsichtlich der bei ihr zusammengeführten Strafanzeigen eine Nichtanhandnahme. Gegen diese Nichtanhandnahmeverfügung wurde Beschwerde beim Bundesstrafgericht eingereicht. Das Bundesstrafgericht hiess die Beschwerde im November 2016 teilweise gut und wies die BA an, das vorliegende Strafverfahren gegen die VW AG, die AMAG AG und die verantwortlichen Organe derselben zu eröffnen. Hingegen wurde die Beschwerde gegen die Einstellung bezüglich der verantwortlichen Organe der VW AG abgewiesen.
Nach Eröffnung des Strafverfahrens führten die BA und fedpol Hausdurchsuchungen durch, wobei umfangreiches Datenmaterial sichergestellt wurde (siehe Medienmitteilung der BA vom 09.12.2016), das in der Folge ausgewertet wurde. Den infolge der Ermittlungen identifizierten rund 175'000 potentiell Geschädigten in der Schweiz stellte die BA eine innovative Online-Plattform zur Verfügung, die sie über ihre Rechte informierte und ihnen die Konstituierung als Privatkläger erleichterte (siehe Medienmitteilung der BA vom 02.09.2019), wovon rund 5500 Personen Gebrauch machten.
Aufgrund des inhaltlichen Zusammenhangs der in der Schweiz und in Deutschland geführten Strafverfahren bat die BA im Januar 2017 in einem Rechtshilfeersuchen an die Staatsanwaltschaft Braunschweig um Auskunft, Akteneinsicht und Herausgabe von Akten und Beweismitteln und signalisierte ihre Kooperationsbereitschaft. Im Zuge des Vollzugs dieses Rechthilfeersuchens wurde bekannt, dass die VW AG im deutschen Bussgeldverfahren im vorliegenden Sachzusammenhang wegen fahrlässiger Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen mit einer Geldbusse in der Höhe von einer Milliarde Euro bestraft worden ist.
Einstellung des Verfahrens
Im November 2021 informierte die BA die Beschuldigten und Privatkläger im von ihr geführten Strafverfahren darüber, dass sie die Untersuchung als vollständig erachtet und beabsichtigt, das Verfahren einzustellen (Art. 318 der Strafprozessordnung [StPO]). Aufgrund von gestellten Beweisergänzungsanträgen seitens der Privatklägerschaft tätigte die BA weitere Ermittlungshandlungen, welche die vorgenannten Verdachtsmomente jedoch nicht erhärteten, sondern entkräfteten. Die BA informierte daher Anfang April 2024 die Beschuldigten und die Privatkläger erneut über die geplante Einstellung des Verfahrens gestützt auf Art. 318 StPO.
Aufgrund des obgenannten rechtskräftigen Bussgeldentscheides der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen die VW AG war die Strafverfolgung der VW AG als Unternehmen im Rahmen des vorliegenden Strafverfahrens in der Schweiz aufgrund des transnationalen Verbots der Doppelverfolgung und -bestrafung im Sinne von Art. 54 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 (SDÜ) nicht mehr möglich [1]. Die BA stellte das Strafverfahren gegen die VW AG daher nach dem Grundsatz «ne bis in idem» ein (Art. 319 Abs. 1 lit d StPO).
Nach Abschluss der umfangreichen Ermittlungen kam die BA weiter zum Schluss, dass sich weder der Tatverdacht betreffend der verantwortlichen Organe und Betriebszugehörigen der AMAG AG noch der Tatverdacht betreffend der AMAG AG selber erhärtete, weshalb das Strafverfahren in diesen Punkten ebenfalls einzustellen war (Art. 319 Abs. 1 lit a StPO).
Die Einstellungsverfügung im vorliegenden Strafverfahren ist noch nicht rechtskräftig und kann daher vor Ablauf der Rechtsmittelfrist nicht eingesehen werden.
[1] Das Verbot der Doppelverfolgung und -bestrafung des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) besagt, dass wegen derselben Tat nicht – weiter – verfolgt werden darf, wer durch eine Vertragspartei bereits rechtskräftig verurteilt (oder freigesprochen) worden ist, und – im Fall einer Verurteilung – die ausgefällte Sanktion vollstreckt worden ist. Damit das Verbot der Doppelbestrafung zum Zuge kommt, müssen der Beschuldigte und die vorgeworfenen Straftatbestände in beiden Strafverfahren identisch sein, was vorliegend der Fall ist.
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